Das Kunstportal der Stadtsparkasse Wuppertal

126 Die Endsechziger Jahre wurden von ein- dringlichen und nachhaltigen Verände- rungen geprägt: Vielerorts laut werdende Proteste gegen die Vernich- tung und Unterdrückung von Menschen, gegen Militarismus, reaktionäre Politik und die Gefährdung der Ökologie gingen über in das Engagement für Frieden, Gleichberechtigung und Umweltschutz, begleitet von den Erweiterungen der be- kannten Welt durch die Raumfahrt und digitale Medien. Die Menschen in Europa und insbeson- dere der Bundesrepublik bewegte zudem die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, deren Erschütterungen im Wiederaufbau zunehmend verdeckt worden waren und nun unter den Fragen der jüngeren Generation wieder aufbrachen. Diese Bedingungen und Strömungen beeinflussten auch das Lebensgefühl in Wuppertal und fanden ihre Reflektion in der künstlerischen Arbeit, unter ande- rem in der sich wandelnden Architektur. Inzwischen war das Bauen über existen- tielle Notwendigkeiten hinaus, und es entstanden Gebäude und Anlagen wie der Berliner Platz, die Schwebebahnsta- tion Alter Markt oder der neue Brunnen am Döppersberg, die die Attraktivität der Stadt steigerten und damit ein sich vergewisserndes Selbstwertgefühl der Einwohner zum Ausdruck brachten, das bei manchen mit dem Wunsch einher- ging, auch kulturell Traditionen hinter sich zu lassen und in der Moderne anzu- kommen. Ein Indiz dafür findet sich in der Begrün- dung der Verleihung des Von der Heydt- Preises der Stadt Wuppertal 1968 an Gottfried Böhm, dessen Wallfahrtskirche in Neviges im Mai des Jahres geweiht worden war und der ausgezeichnet wurde „für ein architektonisches Werk, das ... eine offene, von hierarchischen Strukturen befreite Gesellschaft“ symbolisiere. 1 Mehr und mehr zeigte sich im Wupperta- ler Stadtbild eine Ästhetik, die Funktio- nalität betonte und mit dem Einsatz von Glas und hellen Fassaden Leichtigkeit und Transparenz suggerierte. Beispiel- haft dafür war das von Gerhard Graubner entworfene Schauspielhaus mit seiner klaren Kombination von Bühnenkubus und Zuschauerarena, dem asiatisch an- mutenden Innengarten im gläsernen Atrium und der weißen Außenverklei- dung. Dass nicht alle Wuppertaler Bürger die Erscheinungsformen zeitgenössischer Künste begrüßten, erwies sich am Schicksal der vor dem Schauspielhaus platzierten „Sitzenden“ Henry Moores, die nicht nur anhaltenden Missfallen er- regte, sondern an einem früheren Stand- ort – auf mittelalterlich handgreifliche Weise – sogar geteert und gefedert wor- den war. 2 Milder war die Reaktion auf die verän- derte Präsentation im Von der Heydt- Museum, wo in den Sälen, die zuvor den Expressionisten vorbehalten waren, nun aktuelle Kunstwerke zu sehen waren, die „Monroe“ von Andy Warhol, Minimum- Objekte von Erwin Heerich und eine Arbeit von Adolf Luther, der 1973 in der neuen Zentrale der Sparkasse eine Wand aus Glaskörpern installierte. „Zweifellos werden vor dieser Auswahl manche lieb- gewordene Gefühlsgewohnheiten ver- stummen. Das sollte niemanden zur harschen Abkehr veranlassen oder zur Verurteilung ‚solcher Kunstversuche‘ (wie der Berichterstatter sie anhören musste).“ 3 Es ist bezeichnend für einen Teil der Kunstrezeption, nicht nur im Tal, dass die Avantgarde der 20er, die ihrerseits Empörung ausgelöst hatte, in den 60ern doch „lieb geworden“ war. Für die Freiheit der Kunst war Heinrich Böll, der Von der Heydt-Preisträger des Jahres 1959, in seiner Rede zur Eröff- nung des Schauspielhauses 1966 einge- treten: „ ... wenn sie [die Kunst] zu weit geht, dann merkt sie’s schon: es wird auf sie geschossen. Wie weit sie gehen darf oder hätte gehen dürfen, kann ihr ohne- hin vorher niemand sagen; sie muss also zu weit gehen, um herauszufinden, wie weit sie gehen darf, ... .“ 4 Dazu passten die Aufbrüche, die der Architekt Rolf Jährling in seiner Galerie „Parnass“ mit unkonventionellen Aus- stellungen und aufwendigen Aktionen unter anderem der Fluxus-Bewegung an- gestoßen hatte: „Für viele Menschen war das alles Idiotie. Somit ist es verwunderlich, dass ich für alle Vorhaben Hilfe fand. Zum Beispiel anlässlich des Happenings ‚Neun-Nein- Dé-coll/agen‘ 1963 sorgte der Bundes- bahnpräsident selbst dafür, dass ich zwei Lokomotiven bekam, um den Mercedes zu zerquetschen. [...] 80 Gäste waren in zwei Bussen unterwegs, rührten in einem Gartenhäuschen die ‚Bildzeitung‘ im Starmix, stiegen in einen Steinbruch und erlebten dort im Abenddämmer, wie auf einen laut dröhnenden Fernseher geschossen wurde, ließen sich nachts in einer Fabrik in Käfige sperren, während die Wachhunde hechelnd durch die Gänge liefen, ... .“ 5 – So hatte es der Künstler Wolf Vostell mit unbezweifelbar gesellschaftskritischen Intentionen gefordert. Im nächsten Jahr zeigten die „Kapitali- stischen Realisten“ Gerhard Richter, Sigmar Polke, Manfred Kuttner und Konrad Fischer-Lueg ihre Arbeiten zur Sichtung im verschneiten Vorgarten der Villa in der Moltkestraße, in der die Gale- rie „Parnass“ inzwischen ihren Platz ge- funden hatte. 6 Dort ereignete sich am 5. Juni 1965 die spektakuläre „24 Stun- den“ fließende Schau von Performances, ein Gesamtkunstwerk nach den in vielen Hinsichten grenzüberschreitenden Kon- zepten unter anderem von Joseph Beuys, Nam June Paik, Wolf Vostell, der Cellistin Charlotte Moorman und Bazon Brock, der später eine Professur für Ästhetik an der Bergischen Universität innehatte. Dokumentiert wurde das Er- eignis von der Wuppertaler Fotografin Ute Klophaus, die Beuys Schaffen weiter- hin verfolgte. Während die Protagonisten der Avant- garde als Gäste kamen und gingen, bestanden die hiesigen Künstler in der Ruhe vor und nach dem Sturm ihr Rin- gen um die Vereinbarung von Berufung und Beruf. Viele von ihnen hatten die Kunstgewerbeschule besucht, und manche kehrten als Lehrer an das 1968 Werkkunstschule gewordene Institut zu- rück, das wenige Jahre danach in der Universität aufgehen sollte. Zahlreiche Künstler waren Mitglieder in Verbänden, die sich bald nach dem Zwei- ten Weltkrieg organisiert hatten, um die Kunst 1968: lose rote Fäden im Wuppertaler Gewebe

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