Das Kunstportal der Stadtsparkasse Wuppertal
Ebenso wie das Tanztheater Wuppertal ein Kosmos der Kulturen ist, so ist es auch die Wuppertaler Künstlerszene. Und genau das macht sie so reich. Genau das macht diese Stadt so reich. Weltoffen. Großstadt. Und zugleich ein Dorf, zumindest ein Künstlerdorf, in dem jeder jeden kennt und sich viele auf vielen Ebenen von Kunst, Tanz, Literatur oder Musik mit vielen anderen vernet- zen, in Wuppertal oder anderswo in der Welt. Global village Wuppertal. „Global village“, das war Name und Programm, mit dem Peter Kowald dieses Wuppertal und die Welt vernetzende Künstlertum lebte wie kaum ein anderer. Unter diesem Namen scharte er wech- selnde Musikerinnen und Musiker aus den verschiedensten Teilen der Welt um sich, ein Reisender, der Fäden sponn, wohin er auch ging. 1994 machte er Furore, indem er genau das Gegenteil tat: Er blieb zu Hause. Ein ganzes Jahr lang. 365 Tage am Ort. Er erklärte sein Atelier und Studio in der Luisenstraße 116 zum „Ort“, öffnete jeden Samstag die Tür zu offenen Sessions, organisierte Ausstellungen und Gesprächsrunden, und lud die Musikerfreunde aus der gan- zen Welt nach Wuppertal ein. Die „365 Tage am Ort“ wurden legendär. Aber es ist keine von Mottenkugelduft umwehte Legende, die man sich heute nurmehr als Geschichte aus glorreichen vergan- genen Zeiten verklärend weitererzählt. Peter Kowalds „Ort“ lebt. Freunde, Weg- gefährten und Fremde haben sich nach dem allzu frühen Tod des Bassisten 2002 zusammengetan und halten sein imma- terielles Erbe lebendig. Verknüpfen die mit seinem Tod abgerissenen Fäden neu, spinnen sie weiter. Der „Ort“, dessen internationales Programm mit dem Schwerpunkt auf der Freien Improvisa- tion inzwischen vielfach ausgezeichnet wurde, ist noch immer ein kreatives Kraftzentrum, wo die Welt beim Zuhören auf einmal weit wird. Musik und Enge vertragen sich nicht, schon gar nicht, wenn die Musik die Bestimmung „Frei“ im Titel trägt. Wo dieser Geist herrscht, reißt der Himmel auf. „Music is an open sky“. Auch das ein Kowald-Titel, ein Kowald-Programm. Unter dem Namen treffen sich bis heute Jazz-Musi- kerinnen und -Musiker monatlich zur offenen Session im Café Ada, was un- zweifelhaft einer der weltoffensten Orte im Tal ist; ein Ort, wo sich Kulturen tref- fen und den ein Hauch von Orient durch- zieht. Dass ausgerechnet in Wuppertal heute eine jüngere Musikergeneration so lebendig ist, ist sicher kein Zufall. Die macht vor allem im „Loch“ in der Luisen- straße ihr eigenes Ding, in freundschaft- lichem Austausch mit den Aktivisten vom „Ort“ ein paar hundert Meter weiter, und bietet jungen Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Sparten den Raum, sich auszuprobieren. Zwischen „Ort“ und „Loch“ liegt das Café Swane, das ehemalige Luisencafé. Hier hat die aus dem Senegal stammende Sally Wane einen lebendigen Ort geschaffen, mit Musik, Design, Kunst und einem Forum für den Austausch von Positionen und der Begegnung von Kulturen. Einmal spielte dort das in Wuppertal als Initiative der traditionsreichen Mandoli- nengesellschaft gegründete Zupfor- chester Al Watan, in dem fast jedes Mitglied eine Fluchtgeschichte aus einem der Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt mitbringt. Sie spielten „Somewhere over the rainbow“, im Publikum drängten sich Menschen jeden Alters und jeder Hautfarbenschattie- rung, und später haben alle zusammen mit dem syrischen Pianisten Aeham Achmad gemeinsam gesungen. Da lag Wuppertal auf einmal nicht mehr zwischen den bergischen Hügeln, sondern hinterm Regenbogen. Arbeitstitel „Wuppertal weltoffen“. Da fehlt ja noch so viel. Gehört nicht auch die italienische Osterprozession dazu und die Prozession der hinduistischen Gemeinde, die beide alljährlich tausende Besucher anziehen? Oder das grie- chische Dorffest in Oberbarmen? Dass es nicht nur die Künstler sind, die das enge Wuppertal weit machen? Ganz sicher fehlen die großartigen jungen Menschen, die im und um den Mirker Bahnhof an Utopiastadt bauen, und die vielen anderen Aktivisten, die von Voh- winkel bis Langerfeld in der Stadt Kultur- orte schaffen und mit ihrem Engagement am Leben halten. Jeder dieser Orte in Wuppertal, an denen Kultur lebt und der von der Be- gegnung der Kulturen lebt, ist einer, an dem Grenzen durchlässig werden, und seien es nur die im eigenen Kopf. Was vielleicht das Wichtigste ist. Denn ob eine Stadt Großstadt ist oder nicht, eng oder weltoffen, das entscheidet sich vor allem dort: In den Köpfen und Herzen ihrer Bewohner. Anne-Kathrin Reif Peter Kowald 1944 in Masserberg geboren; 2002 in New York verstorben. 1967 nahm er mit Peter Brötzmann die LP „For Adolphe Sax“ auf, 1968 die LP „Machine Gun“, zwei epochemachende Dokumente des deutschen Free Jazz. Seit Anfang der 1970er Jahre spielte er mit den wichtigsten Vertretern der europäischen und amerikanischen Avantgardemusik. Er trat immer wieder als Kontrabass-Solist auf, aber auch im Duo oder Trio mit ganz unterschiedli- chen Partnern aus der Welt des Jazz genauso wie aus anderen Kulturen, mit Musikern, Tänzern, Schriftstellern und Malern. 1984 organisierte er das Sound Unity Festival in New York. Ab 1986 arbeitete er immer wieder mit größer besetzten Ensembles, die er als „Global village“ bezeichnete. 1994 spielte er ein ganzes Jahr lang ausschließlich in seinem Wohnort Wuppertal, zusammen mit Musikerinnen und Musikern, Tänzern, Poeten und Malern, die ihn vor Ort besuchten. Neben dem Wuppertaler „Eduard von der Heydt-Preis“ bekam er 1996 den deutschen „Albert Mangelsdorff-Jazzpreis“. 113 Fotografien: David Klammer
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