Das Kunstportal der Stadtsparkasse Wuppertal

112 Arbeitstitel: „Wuppertal weltoffen“. Aber ist Wuppertal weltoffen? Klingt das nicht doch irgendwie nach einem hölzernen Eisen? Dieses enge Tal zwischen den Hü- geln, über die man nicht hinausschaut, grau vernebelt vom Regen. Wuppertal Muckertal. Stadt der Pietisten, Sektierer, Skeptiker. Ständig pleite, arm und nicht besonders sexy. Jedenfalls ganz bestimmt nicht, wenn man die Gathe entlangläuft oder an der Schwebebahnstation Ober- barmen aussteigt. Großstadt, pulsie- rend, aufregend, weltoffen – kenne ich anders, sagt der, der von außen auf diese Stadt blickt, und daran ändert auch der schicke neue Döppersberg nichts. Aber genau in dieser Stadt haben eine Handvoll Musiker den Free Jazz erfun- den und Pina Bausch das Tanztheater. Kunst, die Grenzen überschreitet, die Grenzen sprengt. Kunst, die Welt er- schließt und Welten eröffnet. Kunst, die sich nicht von ein paar Hügeln einpfer- chen lässt. Hinterm Horizont geht’s wei- ter. Die junge Pina Bausch hatte New York aufgesogen, als sie zurück ins Ber- gische kam. Brötzmann und Kowald zogen in die Welt, und einer von beiden brachte immer wieder die Welt nach Wuppertal, ein Leben lang. Die Tanzthea- ter-Compagnie reiste um den Globus, absorbierte Eindrücke aus anderen Län- dern und Kulturen und brachte sie da- heim in der Alltagsstadt auf die Bühne: Immer auch ein Blick über die den Horizont verstellenden bergischen Hügel. Pina Bausch fei- erte wochenlange Feste, zu denen sie Kollegen und bewunderte Freunde von überall her einlud. Unversehens fuhr man mit einer Truppe Shaolin-Mönche in der Schwebebahn zum Opernhaus und versackte beim von Peter Kowald organi- sierten Nachtprogramm im Café Ada, während am Nebentisch Michael Bari- schnykow Rotwein trank und Pina Bausch mit Tété Tango tanzte. Was ganz nebenbei die Geburtsstunde der heuti- gen Wuppertaler Tangoszene war, die weit und breit ihresgleichen sucht. Eine flirrende Stimmung durchzog die Stadt. Selbst die Taxifahrer waren infiziert. Und plötzlich war da Großstadt, weltoffen. Pina Bauschs Tanztheater-Compagnie, die Wuppertal im Namen trägt, unter- nahm nicht nur Forschungsreisen in alle möglichen Kultur- und Seelenlandschaf- ten, sie ist selbst ein Kosmos der Kultu- ren. Schon die pure Anwesenheit dieses Sonnensystems strahlt aus und lässt Far- ben aufscheinen in dieser oft so grauen Stadt. Manche Tänzerinnen und Tänzer verließen nach Jahren zugleich mit dem Ensemble auch das Tal. Andere sind da- geblieben, gehen eigene Wege. Lauter Samenkörner, die sich in der Stadt ver- streut haben, haben sie all das bewahrt, was sie aus ihren Herkunftsländern und aus dem Heimatland Tanztheater mit- bringen, und hier Wurzeln geschlagen. Längst wächst und blüht es daraus aller- orten. Sie fielen freilich auf fruchtbaren Boden, diese Samenkörner, und Pina Bausch und die Free Jazzer sind der Humus darin. Aber auch sie schufen ihre neue Kunst nicht aus dem Nichts heraus aus- gerechnet hier. Fluxus war schon da. In der Galerie Parnass erlebten der junge Peter Brötzmann und der noch jüngere Peter Kowald Anfang der 1960er-Jahre, wie Joseph Beuys seltsame, nie gese- hene Dinge tat und Nam June Paik nie gehörte Klänge hervorbrachte, und wie sie dabei die Bürger mächtig aufschreck- ten, weil sie das auch noch Kunst nann- ten. Gut zehn Jahre später verstörte Pina Bausch das bürgerliche Publikum, als sie auf der Bühne seltsame Dinge tun ließ und das auch noch Tanz nannte. Brötz- mann, Kowald und die anderen Free Jaz- zer machten sich das Beuys’sche Prinzip zu eigen, nach dem man erst einmal Chaos erzeugen muss, um etwas Neues zu schaffen. Was für ein unerhörtes Aufbrechen von scheinbar fest Gefügtem, von Verkru- stungen und Verhärtungen und glattem Oberflächenguss, mit dem man in den Nachkriegsjahren all das überzogen hatte, an das man lieber nicht mehr erinnert werden wollte. Vielleicht entwickelt sich ja die Energie, Grenzen zu sprengen, am stärksten da, wo es besonders eng ist. Kowald ließ das Kaputt- spielen irgendwann hinter sich. Er und sein Bass reisten um die Welt und such- ten den Dialog mit anderen Kulturen. Sie kamen aus der Mongolei mit Oberton- gesang zurück oder aus Togo mit einem neuen Freund, dem Künstler Amouzou Glipka, der Assistent von Tony Cragg wurde und bis heute in Wuppertal lebt. Von Kowald, der auch malte und zeich- nete, ebenso wie von Amouzou befinden sich Arbeiten in der Sparkassen-Kunst- sammlung. Gemeinsam mit zehn weite- ren Künstlerinnen und Künstlern waren sie im Jahr 2000 Teil der programmati- schen Ausstellung „... über Grenzen gehen ...“ in der Stadtsparkasse. Gren- zen auszuloten, sich an Grenzen abzuarbeiten und Grenzen zu überschreiten gehört zum We- senskern von Kunst. Das bedeutet stets auch, das Fremde ins Verhältnis zum Eigenen zu setzen und umgekehrt. 1994 machte die Sparkasse das mit der Ausstellung „Fremde wahrnehmen – aus- ländische und deutsche Künstler in Wuppertal“ zum Thema. Manche der damals ausstellenden aus- ländischen Künstler wie etwa Ismael Çoban oder Hassan Hashemi nimmt man längst nur noch als Wuppertaler Künstler wahr. Andere wie die Griechin Irini Bratti kehrten nach einigen Jahren Wuppertal in ihre Heimat zurück. Wuppertaler Künstler wie Ulrike Arnold, Susanne Kessler oder Frank Breidenbruch wie- derum haben da Fuß gefasst, wo sie sel- ber Ausländer sind, in den USA und in Italien. So spinnen die Künstler Fäden, die sich durch die Welt ziehen. Fäden, die Wuppertal durchlaufen und solche, die es zum Knotenpunkt machen. Mit ihren Ausstellungen greift die Stadtspar- kasse diese Fäden auf. Und wenn sie heute eine Künstlerin wie Zara Hassana- badi in einer Gruppenausstellung prä- sentiert oder Milton Camilo zu einer Eröffnung tanzt, dann käme wohl keiner mehr auf die Idee, sie nicht als Wupper- taler Künstler anzusehen. Wuppertaler Künstler, die aufgrund ihrer Herkunft neue Farbtöne in die Stadt bringen. Wuppertal weltoffen Amouzou Amouzou-Glikpa

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